AMTS steht für Arzneimitteltherapiesicherheit. Gemeint ist damit alles, was getan wird, um ein Medikamentbestimmungsgemäß einzunehmen. Dass es damit derzeit in Deutschland nicht optimal bestellt ist, verdeutlichen Zahlen von 16 000 bis 20 000 Toten pro Jahr infolge nicht sachgerechter Medikation. Andere Quellen sprechen sogar von 40 000 Toten. Zum Vergleich: 3 400 Menschen versterben infolge eines Verkehrsunfalls. Besonders gravierende Folgen hat eine falsche Medikation für Kinder. Auch deshalb steht die Digitalisierung der Medizin ganz oben auf der Agenda der Gesundheitspolitiker. Auf dem ersten eHealth Summit Germany, der im Rahmen des 18. Hauptstadtkongresses für Medizin und Gesundheit vorige Woche in Berlin stattfand, diskutierten Experten über Notwendigkeiten und praktikable Lösungen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe forderte auf der mit 8.150 Teilnehmern größten Branchentagung, digitale Gesundheitsprojekte schneller umzusetzen.
Komplizierter Medikationsprozess
Der Medikationsprozess ist eine Kette unterschiedlicher Ereignisse. Meist läuft er außerhalb der Patientensicht", erklärte Professor Walter Heafeli, Ärztlicher Direktor der Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmaepidemiologie am Universitätsklinikum Heidelberg. "Funktioniert ein Glied nicht, funktioniert die ganze Kette nicht." Bereits elf Prozent aller Verordnungen und 30 Prozent der handgeschriebenen Rezepte sind fehlerhaft. 15 Prozent der Patienten werden über die ihnen verordneten Medikamente nicht richtig instruiert. In 88 Prozent der Fälle werden Arzneimittel falsch gehandhabt. 38 Prozent werden falsch verabreicht. Die Folge: Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW), die auch wirtschaftlich eine enorme Dimension haben. Haefeli rechnet vor: "Von 100 000 Rezepten im Jahr gab es 34 6000 Rückfragen. Nimmt man an, dass jede nur fünf Minuten Zeit beansprucht, ergeben sich 2 880 Stunden. Das entspricht mehr als 70 Vollzeitstellen."
Nicht nur Ärzte und Apotheker machen Fehler
Doch nicht nur Ärzte und Apotheker machen Fehler. Zehn Prozent aller Rezepte bringen die Patienten gar nicht erst in die Apotheke. Weitere zehn Prozent erst nach dem dritten Tag der Verordnung. Lösten Herzpatienten, denen ein Stent eingesetzt wurde, nach der Klinikentlassung ihr verordnetes Medikament nicht ein, verstarb ein Drittel. "Hier sind wir in Deutschland ganz schwach. Die Schnittstellen interessieren uns nicht. Der Arzt schreibt ein Rezept und hat seine Pflicht getan", monierte Haefeli. Er wünscht sich eine in ein Qualitätssicherungssystem eingebaute Meldung, wenn Rezepte nicht eingelöst werden. "Ähnlich wie bei einer Versandhauslieferung aus dem Internet, die ich jederzeit nachverfolgen kann."
Strukturierte Verordnungen sind sinnvoll
Für Mediziner sind Verordnungen nicht einfach. Insbesondere zahlreiche gleichzeitig verordnete Medikamente oder Mehrfacherkrankungen stellen sie vor große Herausforderungen. So ergab eine Untersuchung, dass über die Hälfte aller Verordnungsfehler am ersten Kliniktag gemacht wurden, unter anderem weil die Patienten nicht bekannt waren. Eine elektronische Entscheidungsunterstützung wie eine mit Algorithmen unterlegte Datenbank, die sich an wissenschaftlichen Standards orientiert, könnte Abhilfe schaffen. Doch eine Regelung gibt es dafür in Deutschland nicht.
Bundeseinheitlicher Medikationsplan angestrebt
Bis jetzt hat nur ein Viertel aller Patienten in Deutschland einen Medikationsplan. Vorteil dieser digital erstellten Vorlage ist, dass mehrsprachige Versionen kein Problem sind und Anwendungshinweise integriert werden können. "Sonst machen Patienten irgendwas, aber nicht was sie sollen", beschreibt Heafeli seine Erfahrungen. Ebenfalls wichtig: Warnhinweise können berücksichtigt werden und Wechselwirkungen mit frei verkäuflichen Medikamenten werden angezeigt. Auch der Patient sollte einen Mehrwert davon haben. "Blutdruckpatienten könnten beispielsweise durch eine App erinnert werden, dass sie ihre Tablette einnehmen", empfiehlt Professor Guido Noelle, Geschäftsführer der gevko GmbH in Bonn. Aktuell laufen mehrere parallele Pilotprojekte in Deutschland. Experten plädieren dringend für einen bundeseinheitlichen Medikationsplan.
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